Ein jeder Mensch hat seine Heimat,
unsere Heimat war die Grafschaft Glatz.
Dort liegen unsere Wurzeln, dort lebten unsere Vorfahren,
dort stand unser Vaterhaus und dort verlebten wir unsere Jugend.
Beim durch blättern dieser Seiten wird man vielleicht verstehen
warum wir dieses schöne Stückchen Erde nicht vergessen können und es uns immer wieder dorthin zieht.
Fritz Volkmer
Heim-Reise in die Grafschaft Glatz vom 24. bis 29. August 1996
Paul Franke, Fritz Volkmer, Hans Exner und Paul Rupprecht
Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen!
Ein Bericht über die Heimreise zur Goldkommunion von Paul Rupprecht in unserer Pfarrkirche zu Wölfeldorf, und wie ein Engel aus der Heimatkirche vor dem Untergang bewahrt wurde.
Am 25. August 1996 war der Tag an dem mein Heimatfreund Paul Rupprecht vor 50 Jahren die 1. heilige Kommunion in unserer Pfarrkirche St. Georg empfangen hatte. Die Vertreibung war damals schon in vollem Gange. Unser damaliger Pfarrer Arnold Wachsmann hatte noch zu den Kommunionkindern gesagt: „Wenn wir am Mittwoch noch zu Hause sind, feiern wir noch eine Andacht in der Kirche.“ Doch dazu kam es nicht mehr, weil am Dienstag das Mitteldorf teils zu Fuß, teils mit Fuhrwerken nach Mittelwalde transportiert und in den Westen abgeschoben wurde. Dem 90-jährigen Vater von Paul Rupprecht ließ diese Erinnerung keine Ruh, und immer wieder drängte Er: „Paul du musst deine Goldkommunion in deiner Heimatkirche feiern!“ So machten wir uns, die vier Heimatfreunde, am Sonnabend den 24. August 1996 auf den Weg in Richtung Heimat Wölfelsdorf.
Es ging alles glatt und wir kamen gegen 17.30 Uhr in unserer Unterkunft in Wölfelsdorf an. Am Sonntag, den 25. August 1996 feierten wir in unserer Kirche, mit den Polen, die Goldkommunion von unserem Heimatfreund Paul Rupprecht. Anschließend sprachen wir noch mit dem Polnischen Pfarrer und wir vereinbarten mit ihm für Dienstagnachmittag einen Termin um Filmaufnahmen in unserer Kirche zu machen. Wir hatten am Sonntag sofort gemerkt, dass die wertvolle Umrandung vom Marien-Altar fehlte und gegenüber am Josef-Altar viele schadhafte Stellen waren. Die Inneneinrichtung unserer Kirche weißt eine reiche Barockausstattung aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf.
Arbeiten von dem bedeutesten Barockbildhauer der Grafschaft Glatz, Michael Klar dem Älteren, aus Bad Landeck. Um das Jahr 1730 sind die Ausstattung, der Hochaltar und die Predigt-Kanzel fertig gestellt worden.
Jedem Kunstkenner entzücken die Figuren von Adam und Eva am Hochaltar und beiderseits davon übergroß die Statuen von Melchisedech und von Papst Gregor. Die Kanzel ist mit den vier Evangelisten und ihren Symbolen geschmückt und wird von Jesus inmitten seiner Apostel gekrönt. (siehe Bilder Kirche Wölfelsdorf)
Für Dienstagvormittag hatten wir uns noch etwas Besonderes vorgenommen: Wir wanderten von der Dorfmitte, der Johannes-Brücke, über den Schäferberg längs der Kirschenallee, auf der Landstraße bis nach Ebersdorf, Schönfeld, Herzogswalde – bis zum Bahnhof Mittelwalde. Also den Weg den die Mittel-Wölfelsdorfer beim Verlassen der Heimat gehen mussten. Es war herrlicher Sonnenschein. Es grüßte „Maria Schnee“, der Schwarze Berg, der Puhu und der Große und Kleine Schneeberg.
Viele Erinnerungen wurden ausgetauscht, aber oft ging auch jeder seinen eigenen Gedanken nach. Nach mehrstündigem Marsch kamen wir gegen Mittag am Bahnhof in Mittelwalde an; um ein besinnliches Erlebnis reicher.
Hans, der mit dem Auto nach Mittelwalde gefahren war, traf uns am Bahnhof. Gemeinsam fuhren wir nach Wölfelsdorf zurück und trafen uns gegen 14.30 Uhr, wie vereinbart, mit dem polnischen Pfarrer in unserer Pfarrkirche. Unsere erste Frage war: Wo ist die wertvolle Umrandung von unserem Marienaltar hingekommen. Er sagte: „Kommen Sie, kommen Sie“ und er ging mit uns in den Vorraum vom Seiteneingang. Dort standen vier Plastik-Säcke, sie waren bis zur Hälfte mit Holzstücken, Staub und Holzwurmmehl gefüllt. Wir fragen „ob wir uns etwas als Andenken mitnehmen können“? Er sagte: „Nehmen Sie. Polnischer Restaurator sagen „alles Müll, alles weg“. Meine drei Freunde bedienten sich mit Kleinigkeiten. Währenddessen zeigte mir der Pfarrer die vielen anderen Wurmlöcher an den Figuren an der Kanzel. Wenn man dran klopfte rieselte das Holzwurmmehl heraus. Während meine Freunde Film-Aufnahmen machten ging ich noch einmal mit dem Pfarrer zu den Plastiksäcken. Er sagte: „Nehmen Sie, nehmen Sie, alles kaputt“. Ich stellte meinen Rucksack ab, krempelte mir die Ärmel hoch und begann in dem Müll zu suchen. Es waren überwiegend Staub, Holzwurmmehl und zerbrochene Holzteile darin. Bis ich dann plötzlich fast am Boden etwas festes erfasste. Ich zog es heraus und merkte, dass es etwas Figurähnliches war, aber bei soviel Staub und Dreck war es nicht zu erraten. Ich wickelte es in meinen Pullover und verstaute es in meinem Rucksack.
Abends in der Unterkunft zeigte ich das Stück meinem Freund Paul R., der selbst Busfahrer war. Er meinte: „Mensch, versteck das bloß gut in deinem Rucksack, wenn das der Zoll entdeckt, das kann Schwierigkeiten geben.“ Es ging aber alles reibungslos. Wir kamen gut zu Hause an.
Ein paar Tage später säuberte ich vorsichtig mein Mitbringsel und hervor kam ein Engelskopf. Allerdings ein Flügel total vom Holzwurm zerfressen, überhaupt war der ganze Engel bös hergerichtet und mit sehr vielen Wurmlöchern übersäht. Ich nahm ein großes Glas, füllte es mit Cellulose-Verdünnung und steckte den Engel hinein und verschloss das Glas. Als ich es einmal meinen Kindern zeigte, meinten sie: „Vater, da geht nichts mehr, wirf es weg, du bringst nur damit den Holzwurm in unser Haus.“ Dann las ich in der Zeitung, dass ein Herr Stromberg, ein Hobbyholzschnitzer für die Kapelle in Volkaringhausen einige Figuren geschnitzt hatte. Ich setzte mich mit ihm in Verbindung. Er sagte: „Sowas wirft man doch nicht weg.“ Durch die Cellulose hatte sich eine Schicht gelöst wo man Unebenheiten mit ausgleicht. Die Wurmlöcher hatte ich mit einem Spezial-Kit verschlossen und schön beigearbeitet. Nur der rechte Flügel musste erneuert werden, das besorgte mir der Schreiner-Meister Habel aus Langenholthausen, aus echter Sauerländer Erle. Beigeschnitzt hat es dann Herr Stromberg aus Blintrop.
Nun hatte ich in Bensberg einen Heimatfreund „Josef Veit“ der war Kunstmaler und Holzschnitzer. Bei einem Besuch bei uns erzählte ich ihm die Geschichte. „Nein“, meinte er, „Fritz, so haben die Engel in unserer Kirche nicht ausgesehen. Ich habe Nahaufnahmen bei mir zu Hause von den Kunstschätzen der Kirche. Bei dem Engel fehlen die Feinheiten. Ich nehme ihn mir mit und mache ihn dir wieder im Original farbig“. Er meinte auch die gesamte Oberfläche mit Vergoldung muss erneuert werden.
Als er ihn mir wiederbrachte, kannte ich den Engel nicht mehr wieder. Er strahlte in alter Schönheit. Er wollte ihn am liebsten selbst behalten. Es standen ihm die Tränen in den Augen und er meinte: „Fritz, so ein schönes Stück Heimat hab ich nie wieder in den Händen gehabt“.
Nun hängt er schon etliche Jahre bei uns im Wohnzimmer über dem „Mutter Gottes Winkel“. Er ist mir ein wertvolles Stück Heimat und ein Andenken an eine denkwürdige Heimfahrt, an eine ganz zufällige Mitbringe aus unserer Heimatkirche und unseren Herrgottswinkel der „Grafschaft Glatz“.
Fritz Volkmer, Garbeck
früher Wölfelsdorf, Grafschaft Glatz, Schlesien
geschrieben zum 65. Geburtstag von Paul Rupprecht im Jahr 2003,
mit Bildern von Fritz Volkmer und Paul Rupprecht