Reise in die Grafschaft Glatz
Bericht: Roland Scholz
36-köpfige Reisegruppe aus Erndtebrück besucht die schlesische Heimat zahlreicher Vertriebener und vertieft die Freundschaft zur heutigen Bevölkerung in Wilkanow
Das Dörfchen Wilkanow im polnischen Powiat Kłodzki, der Wojewodschaft Niederschlesien, war bis zum 2. Weltkrieg die Heimat von etwa 1700 deutschen Einwohnern und hieß Wölfelsdorf. Nach dem Potsdamer Abkommen wurde die Bevölkerung von den Siegermächten vertrieben und gegen Heimatvertriebene aus Ostpolen ausgetauscht. In Viehwagons erreichte ein Teil der Wölfelsdorfer Bevölkerung Ende August 1946 die Dörfer Erndtebrück und Laasphe im Wittgensteiner Land, wo sie ihre neue Heimat fanden.
Weitaus weniger beschwerlich war die einwöchige Reise der 36-köpfigen Reisegruppe zu den Sehenswürdigkeiten und neuen Freunden in der Grafschaft Glatz. Mittlerweile pflegen die vertriebenen Wölfelsdorfer und heutigen polnischen Einwohner nämlich ein freundschaftliches Verhältnis, das bei einem gemeinsamen Mittagessen und musikalischer Darbietung eines Akkordeonspielers im Gemeindesaal vertieft wurde. Anschließend besuchte die Reisegruppe die Wallfahrtskirche Maria Schnee auf dem 800 m hohen Spitzigen Berg. Der Blick von dort in den weitläufigen Glatzer Talkessel, der auf ca. 350 m Höhe liegt, gab einen ersten Eindruck auf die weiteren Sehenswürdigkeiten der alten schlesischen Heimat.
Am ersten Tag zog es die Reisenden ins Riesengebirge zur Kirche Wang in Krummhübel am Fuße der Schneekoppe. Da aufkommender Regen den geplanten Aufstieg zur 1603 m hohen Schneekoppe vereitelte, besuchte man das wieder hergerichtete Schloss Lomnitz im Hirschberger Tal. Die Rückfahrt erfolgte über den Wallfahrtsort Grüssau, dessen Klosterkomplex der Zisterzienser als Perle des europäischen Barock gilt. Am kommenden Tag standen die Sehenswürdigkeiten von Wartha, Frankenstein und Kamenz auf dem Programm. Besonders eindrucksvoll waren der schiefe Turm in Frankenstein und der Palast Kamenz, den Marianne von Oranien-Nassau 1838 vom Architekten Karl Friedrich Schinkel errichten ließ. Marianne war eine geborene Prinzessin der Niederlande und eine geschiedene Prinzessin von Preußen. Sie durfte sich nach ihrer Scheidung nicht mehr in Preußen aufhalten. Allerdings erwarb sie sich durch ihr soziales Engagement große Sympathien der schlesischen Bevölkerung. Schloss Kamenz, dessen Bau sie über viele Jahre koordinierte, war das Hochzeitsgeschenk für ihren Sohn Albrecht. Die vier Zinnen und die glasierten Ziegel sind von weiter Ferne zu sehen. Die bis heute fortdauernden Renovierungs- und Aufbauarbeiten am Palast zeugen von der blinden Zerstörungswut der sowjetischen Truppen, die ihn am Ende des Krieges in Brand steckten. Eine Rast an der Schneiderbaude oberhalb der Kreisstadt Glatz ließ den erlebnisreichen Tag ausklingen. Die herrliche Aussicht war beeindruckend.
Die restlichen Tage erfreute sich die Wittgensteiner Reisegruppe an den Schönheiten der Grafschaft Glatz. So führte an einem Tag der Weg über Albendorf und Wünschelburg über das Heuscheuergebirge in den Kurort Bad Kudowa und nach Tscherbeney, wo sich die Grabstätte von Kaplan Gerhard Hirschfelder befindet. (Nachdem Kaplan Hirschfelder die mutwillige Zerstörung christlicher Symbole in einer seiner Predigten angeprangert hatte, wurde er verhaftet und starb am 1.8.1942 im Konzentrationslager Dachau.) Eine Sessellift-Fahrt auf dem 1205 m hohen Schwarzen Berg im Wintersportgebiet bei Heudorf ermöglichte erneut einen Blick auf die weitläufige Landschaft Niederschlesiens und war für fünf Teilnehmer der Ausgangspunkt für eine ausgedehnte Wanderung auf den 1425 m hohen Großen Schneeberg. Bei schönstem Sommerwetter wurde zudem die ehemalige Kristallglasmanufaktur in Seitenberg, der Kurort Bad Landeck und der Wölfelsfall in Wölfelsgrund besichtigt, ehe sich mit dem abschließenden Grillabend eine ereignisreiche Woche dem Ende zuneigte.
Neben den prachtvollen Barockkirchen, Palästen und Kuranlagen und den Wanderungen durch eine wunderschöne Gebirgslandschaften bei herrlichem Sommerwetter wurden Freundschaften vertieft und Erinnerungen gefestigt. Die harmonischen Tage lassen hoffen, dass die einwöchige Busreise in die Grafschaft Glatz nicht die letzte sein wird.
Fotos: Das Foto zeigt die Reisegruppe vor Schloss Kamenz, das Marianne von Oranien-Nassau für ihren Sohn als ländliche Residenz errichten ließ. Es wurde zwischen 1838 und 1873 nach Plänen des Architekten Karl Friedrich Schinkels errichtet.
Die Mariä Himmelfahrts-Basilika in Grüssau zählt zu den Perlen des europäischen Barocks