Reisebericht 2011

  Unterwegs  in der fremden Heimat   2011                                                                            

Simon (12), Philipp (17), Christiane (43) und Roland (45) kennen die Grafschaft Glatz nur aus den Erzählungen ihrer Großeltern, Eltern und Verwandten. Ihre Eindrücke, die sie während einer einwöchigen Busreise sammeln konnten, schildern sie in dem folgenden Bericht. (Nachfahren der Wölfelsdorfer Familie Urner, Niederdorf, Auweg 148)

Ein Reisebericht von 2011

Oft haben wir unsere Eltern, Großeltern und Verwandten von ihrer schlesischen Heimat in der Grafschaft Glatz erzählen hören: Von der schönen Landschaft mit ihren vertraut klingenden Orten, von amüsanten Geschichten und vom religiös geprägten Landleben, das durch die Vertreibung so jäh unterbrochen wurde.

In der letzten Juli-Woche konnten wir uns selber ein Bild davon machen, denn wir befanden uns in einer 37-köpfigen Reisegruppe, die -geleitet vom Wölfelsdorfer Paul Rupprecht- von Erndtebrück in Westfalen wieder „nach Hause ei die Grofschoft“ fuhr. Was würde uns dort erwarten?

Nach fast 12-stündiger Fahrt einschließlich Zwischenstopp an der Jauer Friedenskirche kamen wir über das Warthaer Gebirge in den Glatzer Kessel. Eine beeindruckende Landschaft lag vor uns! Allerdings sahen wir auch zahlreiche verfallene Häuser und unaussprechliche Ortsnamen bzw. Wegweiser an uns vorbei gleiten. In Polonica Zdroj, dem früheren Bad Altheide, bezogen wir Quartier im Pensionat Beata. Die polnische Sprache war wirklich sehr befremdlich und hatte keinerlei Gemeinsamkeit mit unserer Muttersprache oder dem bekannten Englisch; lesen bzw. sprechen war nahezu unmöglich, bezahlen der Einkäufe ohne Etikett oder Kassenbon undenkbar.

Die anfänglichen Bedenken sollten sich allerdings schnell zerschlagen, denn unsere Mitreisenden wussten viel zu berichten, als wir am Sonntag über Habelschwerdt und Wölfelsdorf nach Wölfelsgrund fuhren, um die Wallfahrtskirche Maria Schnee zu besuchen. Der beschwerliche Fußweg auf den Spitzigen Berg entschädigte mit einer wunderbaren Aussicht und einem kurzen Gebet zur Gottesmutter. Als die Tageseindrücke abends im Hotel ausgetauscht wurden, fühlten wir uns am ersten Tag fast schon „wie zu Hause“.

In den folgenden fünf Tagen sollten wir die zahlreichen Sehenswürdigkeiten der Grafschaft Glatz kennen lernen, denn Paul Rupprecht führte uns an Orte, die unsere Vorfahren damals wahrscheinlich nie zu Gesicht bekommen hatten. Neben den Kurorten Bad Kudowa und Bad Landeck mit ihren schönen Kurparks und Kurhäusern wurden natürlich die Kreisstädte Glatz und Habelschwerdt besucht. Auf der Rückfahrt vom Heuscheuer-Gebirge, wo wir uns durch die „Wilden Löcher“ zwängen durften, machten wir Halt im schlesischen Jerusalem, wie der Wallfahrtsort Albendorf auch genannt wurde. Die große gelbe Kirche mit ihren 56 breiten Treppenstufen machte großen Eindruck. Auf den Wanderungen begeisterte uns nicht nur die schöne Landschaft, sondern ganz besonders die Begegnung mit dem „Grauen Mann“, der uns an der Spätenwalder Ewigkeit freundlich begrüßte.

Nach einer Fahrt über Neurode, Waldenburg und Schmiedeberg gelangten wir zu einer Sehenswürdigkeit außerhalb der Grafschaft, der Schneekoppe, die liebevoll „ahle Gaake“ genannt wird. Der größte Berg des Riesengebirges gewährte uns einen schönen Blick auf die Heimat unserer Eltern und Großeltern.

Nach einer Woche stellt sich nun die Frage, was die Grafschaft Glatz jetzt für uns ist? Sicherlich mehr als ein schönes Stück Erde, denn wir sind die Wege unserer Vorfahren gegangen, haben ihre Kirchen besucht und Äpfel von ihren Bäumen gegessen, ihre Geburtsorte kennen gelernt, ja wir haben sie quasi in ihren Erzählungen und Geschichten wieder gesehen. Neben den geschilderten Reiseerfahrungen konnten wir zudem erleben, dass das Verhältnis zwischen den Schlesiern und den jetzigen Bewohnern ein ganz normales ist. Es gibt keinen Hass oder Zorn, keine Beschimpfungen auf der Straße. Im Gegenteil, in den wenigen noch bewohnten Häusern wird man herzlich empfangen. Und ohne das Verständigungsproblem, wären die Freundschaften, die sich mittlerweile gebildet haben, sicher noch intensiver. Ja, die Grafschaft Glatz ist jetzt auch für uns etwas besonderes!

Wenn es auch schwer fällt, von unserer Heimat zu sprechen, so ist uns die Heimat unserer Eltern, Großeltern und Verwandten jetzt nicht mehr so fremd. Die alten Familienfotos und -geschichten wurden mit Leben erfüllt; unterstützt natürlich von den zahlreichen Gesprächen mit den Grafschafter Reiseteilnehmern und dem interessanten Programm, das Paul Rupprecht angeboten hat.

Es gibt viele gute Gründe, um in die Grafschaft Glatz zurück zu kehren und wir freuen uns schon darauf, wenn es wieder heißt: „Mir fohrn wieder heem ei die Grofschoft!“