31.8.1946

Aus den Erinnerungen und Tagebüchern unserer Vertreibung

Es ist Samstag, der 31.8.1946. Eigentlich ein schöner Tag so kurz vor dem Wochenende, wenn wir nicht in einem Viehwagon sitzen würden. Das Wetter war schlecht, es regnete. Die Nacht war schrecklich, an Schlaf war nicht zu denken. Unsere Mütter hatten Angst vor Plünderungen oder anderen Übergriffen. Wir hörten, dass draußen Soldaten patrouillierten.

Als es langsam hell wurde, breitete sich Hektik in dem kleinen Bahnhof aus. Man konnte merken, dass bald etwas geschehen sollte. Aber wann? Konnte man den Wagon noch einmal verlassen, um irgendwo seine Notdurft zu verrichten oder etwas Wasser zum Waschen aufzutreiben? Keiner konnte uns sagen, wann der Zug abfahren würde.

Dann, irgendwann, setzte sich der Zug in Bewegung. Im Wagon befanden sich einfache Hochbetten, es war sehr eng, das Dach war undicht, so dass es an einigen Stellen hinein regnete. Wie wir später erfuhren, ging der Transport am ersten Tag über Glatz, Schweidnitz, Bunzlau nach Kohlfurt. Kohlfurt liegt etwas nördlich von Görlitz, hier begann die britische Besatzungszone.

Die Fahrt verlief unspektakulär. Viele dachten an die Heimat in Wölfelsdorf. Noch vor sechs Tagen, am 25.8.1946, haben viele von uns ihre erste heilige Kommunion in der St. Georg Kirche feiern können. Da hat von uns Kindern noch keiner mit gerechnet, Wölfelsdorf verlassen zu müssen. Den Namen hat Wölfelsdorf übrigens von der Wölfel, einem Gebirgsfluss, der durch den ganzen 10 km langen Ort fließt. Die Wölfel konnte bei Hochwasser sehr gefährlich werden; im Sommer war sie ein Ort wunderbarer Kindheitserinnerungen. Hier konnten wir ungestört spielen, baden, Boot fahren oder Forellen fangen. Bis jetzt hatten wir eine (fast) normale Kindheit verlebt. Aber jetzt sitzen wir in einem Wagon auf einer Fahrt ins Ungewisse. Immerhin konnten wir in den Gesichtern der Erwachsenen etwas Zuversicht ablesen: Die Fahrt ging Richtung Westen.