30.8.1946

Aus den Erinnerungen und Tagebüchern unserer Vertreibung

Am Freitag, den 30.8.1946  sind wir noch immer am Sammelpunkt im Güterbahnhof von Mittelwalde. Auf den Gleisen herrscht reges Treiben. Lokomotiven fahren zischend und dampfend hin und her und stellen einen langen Zug mit Viehwagons zusammen. Wir müssen warten und uns registrieren lassen, so wurde uns Kindern gesagt. Wir wurden in Listen eingetragen, bekamen eine weiße Armbinde und ein Schild, auf dem eine Wagonnummer stand.

Die Wagons des Zuges waren durchnummeriert. Wir kamen in den Wagon Nr. 39. Insgesamt mussten 34 Personen Platz finden, 3 Männer, 11 Frauen und 20 Kinder. Der Zug hatte bestimmt 50 Wagons. Der Tischler Alois Pfeiffer wurde zum Wagenältesten bestimmt. Wir räumten unser Gepäck in den Wagon, was ganz schön schwer war. Die Einstiegsluken waren sehr hoch und Bahnsteigkanten gab es keine. Wir Kinder hatten große Mühe, überhaupt in den Wagon zu klettern. Natürlich war es besonders für die Jungen auch interessant, die Lokomotiven zu beobachten. Wölfelsdorf hatte keine Bahnstation. Um Dampfzüge zu sehen oder mit der Eisenbahn zu reisen, musste man in die etwa sechs Kilometer entfernte Kreisstadt Habelschwerdt gehen. Aus der Wagonliste, die Alois Pfeiffer verwahrte, geht hervor, dass neben der Familie Pfeiffer mit zwei Kindern folgende weitere Familien in Wagon Nr. 39 die Reise ins Ungewisse antreten mussten: Familie Urner mit vier Kindern, Familie Brosig mit drei Kindern, Familie Glaubitz mit zwei Kindern, Familie Geisler mit fünf Kindern und Familie Puchtel mit drei Kindern.

Wagonliste von Wagon Nr. 39

Die Nacht verbrachten wir in dem Wagon. Jetzt war allen klar, dass wir unsere Heimat verlassen mussten. Aber wohin die Reise gehen würde und wann wir wieder zurück kommen können, konnte uns keiner sagen. Wir Kinder konnten die Tragweite der Vertreibung sicher noch nicht überblicken, aber was mögen unsere Mütter und Großeltern in diesem Moment gedacht haben? Wie sollten unsere Väter, Großväter und Bekannten uns jemals wiederfinden und was passiert mit unseren Häusern und Haustieren?