Aus den Erinnerungen und Tagebüchern unserer Vertreibung
Mittwoch und Donnerstag, 4. und 5.9.1946
Am Mittwoch, dem 4. September 1946 setzt sich der Zug wieder in Bewegung. Nachdem er Marienthal verlassen hat, fährt er über Braunschweig, Peine, Herford, Bielefeld nach Hamm. Dann weiter nach Hagen und durch das Lennetal bis nach Siegen, wo vorläufige Endstation ist.
„Sieben Tage sitzen wir nun in diesem Zug, sieben Tage lang hat es fast ununterbrochen geregnet und sieben lange Tage haben wir fast nichts zu essen bekommen. Aber neben dem Hunger und der Trostlosigkeit ist es vor allem die Ungewissheit, die unseren Müttern und Großeltern zu schaffen macht. Wussten sie, wie lange die Reise noch dauern sollte, kannten sie das Ziel der Reise?“ Fragen, die wir Kinder uns damals wahrscheinlich nicht gestellt haben.
Eine Mitreisende kann sich an die tröstenden Worte ihrer Großmutter erinnern, als sich der Zug dem Wittgensteiner Bergland nähert: „Anna, sei nicht traurig, wenigstens die Gegend ist wie bei uns.“ Und andere wollen während der Fahrt bekannte Speisepilze am Waldrand gesehen haben. Man suchte nach Gemeinsamkeiten mit der Wölfelsdorfer Heimat. Die Berglandschaft war auch nur ein kleiner Trost, denn die Täler der schlesischen Heimat sind viel weitläufiger, man konnte viele Kilometer weit schauen. Im Lennetal müssen sich viele Vertriebene regelrecht eingeengt gefühlt haben.
„In Siegen angekommen, wurden wir mit den fürchterlichen Zerstörungen des Krieges konfrontiert. Der Bahnhofsbereich war eine einzige Kraterlandschaft. Wir kamen aus den unbeschädigten Häusern unseres schönen Wölfelsdorf mit kleinem Handgepäck in ein zerstörtes Siegen! Genau wie wir, standen viele Siegener vor dem Nichts. Doch ein Trost blieb: In der Notunterkunft auf dem Wellersberg sollten wir unsere erste warme Mahlzeit bekommen.“
Wir blieben auch den folgenden Tag, den Donnerstag (5.9.) in der Notunterkunft am Wellersberg bevor wir den letzten Teil unserer Reise antreten sollten.