Aus den Erinnerungen und Tagebüchern unserer Vertreibung
Als die Sonne am Freitag, dem 6.9.1946 über der zerstörten Krönchenstadt aufging, ahnten wir nicht, dass wir heute das Ziel unserer langen Reise erreichen sollten. Auf dem zerbombten Bahngelände in Siegen wurde ein neuer Zug zusammengestellt.
„Ob während der Aufenthalte in Kohlfurt und Marienthal bereits Wagons abgehängt wurden, kann ich heute nicht mehr sagen,“ erinnert sich eine Zeitzeugin, „in Erndtebrück kamen aber auch zahlreiche Vertriebene aus anderen Orten der Grafschaft an. Die waren nicht alle aus Wölfelsdorf.“ Der Zug quälte sich die Rampe hinter Vormwald hinauf und sollte in Erndtebrück zum ersten Mal halten. Dort wurden einige Wagons abgekoppelt. Eine damals sechsjährige Zeitzeugin berichtet von den Erinnerungen ihrer Mutter: „Am Bahnhof in Erndtebrück wurden wir von älteren Volksschülerinnen mit Handwagen empfangen. Sie führten uns zur heutigen Grundschule, wo wir wahrscheinlich vom Bürgermeister begrüßt wurden. Auf dem Schulhof standen viele Menschen. Es waren Erndtebrücker Familien, die uns in ihren zum Teil zerstörten Häusern aufnehmen wollten (oder mussten??). Meine Mutter hatte große Angst: „Wer wird mich mit vier kleinen Kindern aufnehmen?“ Doch die Angst war unbegründet. Wir fanden bis ca. 1950 Unterkunft in der Wabrichstraße bei Familie Hackler und Weber, die für uns ein Zimmer frei gemacht hatten. Wir hatten ein Dach über dem Kopf, einen kleinen Ofen und herzensgute Menschen gefunden, die uns in dieser schweren Zeit unendlich viel Hilfe, Mut und Zuversicht gegeben haben.“
Andere Vertriebene sollten bei Vomhofs, im Haus der ehemaligen Eisdiele, in der oberen Bahnhofsstraße, im Hotel Patt oder den Nissenhütten im Pulverwald unterkommen.
Der vordere Zugteil fuhr weiter bis zur Endstation nach Laasphe. An die Ankunft in der Lahnstadt erinnert sich eine weitere Zeitzeugin: „In Laasphe angekommen wurden wir zur Schule gebracht. Wir mussten dort zwei Wochen lang mit 9 Familien in einem Klassenraum bleiben, bevor wir in Laasphe und den umliegenden Ortschaften verteilt wurden und eine neue Bleibe fanden. Später erfuhr ich, dass uns zuerst angeblich keiner aufnehmen wollte.“
Es war eine schwere Zeit. Der Krieg ging nicht spurlos an Wittgenstein vorbei. Der Eisenbahnerort Erndtebrück wurde nicht vor Bombenangriffen verschont. Die Menschen hungerten und viele hatten ihre Häuser und Wohnungen verloren. Aber trotzdem half man sich gegenseitig und gab uns Vertriebenen eine neue Heimat.